Fünf Gründe, warum der Eigenmietwert wohl kaum abgeschafft wird
Die Wirtschaftskommission des Ständerats will einen Systemwechsel bei der Besteuerung von Wohneigentum. Vier Jahre hat sie an einer Vorlage gearbeitet. Hausbesitzer sollten sich jedoch nicht zu früh freuen – ein Erklärstück.
Er gehört zu den politischen Dauerbrennern: der Eigenmietwert. Seit 1934 wird in der Schweiz die Selbstnutzung des eigenen Hauses zum steuerbaren Einkommen gezählt. Es ist der Betrag, den der Eigentümer sonst für die Miete aufwerfen müsste. Die Logik dahinter: Mieterinnen und Hauseigentümerinnen sollen gleich behandelt werden.
So alt die Geschichte, so umstritten ist der Eigenmietwert. 2001 scheiterte die Abschaffung im Rahmen eines umfassenden Steuerpakets an der Urne. 2012 lehnten die Stimmbürger eine Volksinitiative relativ knapp ab. Vor mehr als vier Jahren nahm die Wirtschaftskommission des Ständerates einen neuen Anlauf. Mittlerweile liegt die Vorlage vor: In der Herbstsession wird sie von der kleinen Kammer behandelt.
Ständerat Christian Levrat (SP/FR) präsidiert die Wirtschaftskommission. Er ist sich sicher: «Aus meiner persönlichen Sicht ist die Frage nur noch, wann und wie die Vorlage sterben wird.»
Weshalb diese Einschätzung? Die Gründe:
1. Fehlender Leidensdruck
Die Abschaffung des Eigenmietwertes wird vorwiegend aus zwei Gründen immer wieder diskutiert. Einerseits wegen der Verschuldung: Besitzer von Wohneigentum haben keinen Anreiz, Hypotheken zurückzubezahlen. Denn das Gegenstück zum Eigenmietwert ist der Abzug von Schuldzinsen.
Das führt dazu, dass private Haushalte in der Schweiz im internationalen Vergleich eher stark verschuldet sind. Verschiedene internationale Organisationen wie der Währungsfonds oder die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) haben der Schweiz mehrfach empfohlen, die Verschuldungsanreize zu senken, um die Finanzstabilität zu erhöhen.
Andererseits ist die aktuelle Besteuerung von Wohneigentum vor allem für eine Bevölkerungsgruppe ein Problem: Die Rentnerinnen und Rentner, die ihre Hypotheken bereits abbezahlt haben und deren Einkommen sich nach der Pensionierung verringert hat. Für diese Gruppe gäbe es aber spezifischere Lösungen, die nicht das ganze System auf den Kopf stellen würden, wie Rabattsystem oder Sozialabzüge.
Acht Kantone kennen bereits Härtefallregeln für Rentner. Alles in allem ist der Leidensdruck eher gering. Die Konferenz der Finanzdirektoren hatte die Wirtschaftskommission im Vorfeld der Sitzung in einem Brief dazu aufgefordert, nicht auf die Vorlage einzutreten. Sie hält fest: «Die geltende Wohneigentumsbesteuerung ist verfassungsrechtlich, ökonomisch und steuersystematisch gerechtfertigt und ausgewogen.»
2. Verfassungsmässigkeit der Vorlage
Die schärfste Kritik kommt ausgerechnet vom Bundesrat. Zwar unterstützt er im Grundsatz die Abschaffung des Eigenmietwerts, was von den Befürwortern als Erfolg gewertet wird. Der Bundesrat verlangt aber einschneidende Veränderungen an der Vorlage. Sein grösster Einwand betrifft den Schuldzinsabzug.
Die Vorlage der Kommission, dass künftig keine privaten Schuldzinsen mehr steuerlich abgezogen werden, selbst wenn sie der Erzielung eines steuerbaren Einkommens dienen, widerspreche dem Verfassungsgrundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Die Kommission hat diesen rigiden Schuldzinsabzug gewählt, um die Steuerausfälle zu minimieren. Der Bundesrat hält nun aber fest, dass dieser Besteuerungsgrundsatz nicht kurzsichtigen fiskalischen Interessen geopfert werden darf.
Ständerat Pirmin Bischof (Mitte/SO), der Kopf hinter der Vorlage, argumentiert, man könne die Bedenken des Bundesrates gut noch einbauen, indem etwa Vermietern von Liegenschaften weiterhin einen Schuldabzug gewährt wird. Dem Vernehmen nach wird im Plenum ein Ständerat mittels Einzelantrag genau dies verlangen. Die Frage stellt sich, weshalb es die Kommission nach vier Jahren Arbeit nicht geschafft hat, eine überzeugende Lösung zu präsentieren.
3. Ei des Kolumbus gibt es nicht
Das Beispiel der Schuldzinsen zeigt, wie schnell die Vorlage aus dem Gleichgewicht geraten kann. Denn die Mehrheit der Ständeratskommission hat die harte Regelung gewählt, um die Steuerausfälle gering zu halten. Doch selbst der Hauseigentümerverband HEV will unter dieser Bedingung den Eigenmietwert nicht abschaffen. Eine Minderheit und der Bundesrat fordern, dass der Schuldzinsenabzug im Umfang von 70 Prozent der steuerbaren Vermögenserträge (Mieterträge, Dividenden, Zinsen) weiterhin zugelassen wird.
Doch bei einem Zinsniveau von 1.5 Prozent führt dies zu Steuerausfällen von 1.6 Milliarden Franken. Das wäre in einer absehbaren Volksabstimmung eine schwere Hypothek. Mit anderen Worten: Eine ausgewogene Lösung zu finden, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das Ei des Kolumbus gibt es nicht. Das zeigt sich übrigens auch bei einem anderen Punkt: Bei Zweitwohnungen soll der Eigenmietwert bestehen bleiben.
Weshalb? Weil die Tourismuskantone um ihre Steuereinnahmen fürchten. Auch diese Regelung lehnt der Bundesrat im Übrigen ab. Ständerat Bischof sagt, man könne sich für die Tourismuskantone auch eine andere finanzielle Kompensation überlegen, beispielsweise eine Liegenschaftssteuer. Die Krux an diesem Vorschlag: Dafür braucht es eine Verfassungsänderung, Volk und Stände müssen zustimmen.
4. Widerstand der Kantone
In der Herbsession berät der Ständerat die Vorlage. Falls die kleine Kammer eine Änderung beim Schuldzinsabzug vornimmt und weniger stark beschränkt, könnte die Vorlage sowohl im Ständerat wie auch im Nationalrat eine Mehrheit finden. Ansonsten stehen selbst die Bürgerlichen nicht geschlossen hinter der Abschaffung des Eigenmietwerts.
Doch: Selbst wenn die Vorlage im Parlament durchkommt, ist das Referendum von links so gut wie sicher. Vor allem, wenn es zu Steuerausfällen kommt. In dieser Volksabstimmung würden die Kantone eine wichtige Rolle spielen. Und diese sind Stand jetzt gegen die Abschaffung des Eigenmietwerts.
Steuerpolitische Prioritäten
Entscheidend, ob das Geschäft durchkommt, wird im Parlament auch sein, wo die steuerpolitischen Prioritäten gesetzt werden. Die Wirtschaft und ihre Verbände, aber auch der Bundesrat betonen etwa die Bedeutung der Verrechnungssteuerreform oder die Abschaffung der Industriezölle. Das Parlament hat wiederum in der Legislaturplanung die Einführung der Individualbesteuerung festgeschrieben – auch diese dürfte je nach Ausgestaltung zu Steuerausfällen führen.
Pirmin Bischof ist überzeugt, dass erstmals eine mehrheitsfähige Vorlage vorliegt und die Abschaffung des Eigenmietwerts auf Erfolgskurs ist. Christian Levrat sagt das Gegenteil. Wer behält recht? In ein paar Jahren werden wir es wissen. Vorderhand bleibt die Diskussion um den Eigenmietwert ein Schrecken ohne Ende. (aargauerzeitung.ch)
Quelle: Watson.ch